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Gedanken zur Selbstbestimmtheit

Gedanken über unsere Identität

Elyse und Paula - ein eineiiges Zwillingspaar

Exkurs zum Phänomen "Bewusstsein"

Gedankenspiele bezüglich unserer Identität

Die Mystik des Einsseins

Gedanken zur Brüderlichkeit

Epilog: Gedanken zum Frühling

MANI
© Mag.art Elisabeth Schickmayr

 

 

 

Anmerkungen und Quellen

   

(1) "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde." Aus I. Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Akademie-Ausgabe Kant Werke IV, (1781, 421).

(2) Bezüglich Selbstbestimmtheit findet man umfangreiche Ausführungen in Peter Bieri, Das Handwerk der Freiheit, Kapitel 11: "Facetten der Selbstbestimmung" (2011, 416-430). Insgesamt gibt uns Peter Bieri in seinem Buch eine äußerst facettenreiche Darstellung der Freiheit, einer Freiheit, die uns nicht einfach in die Wiege gelegt wird, sondern die wir uns erarbeiten müssen.

(3) Der Reichtum der Alternativen kann größer sein als ich glaube. (.) Solche Freiheit liegt im Bestehen und nicht im Kennen der Möglichkeiten. (.) Man könnte das objektive Freiheit nennen." (Bieri 2011, 46-47)

(4) Bieri betont, dass zur Fähigkeit des Entscheidens auch ein innerer Abstand erforderlich ist. Dann gilt: "Wenn ich in der Phantasie den Raum der Möglichkeiten abgeschritten habe, gebe ich kritische Distanz auf und überlasse mich dem bevorzugten Wunsch und seiner Erfüllung durch die Handlung." (Bieri 2011, 72).

(5) Wertvolle Einblicke in die Welt der Gefühle, die großen Einfluss auf unsere Entscheidungen ausüben, liefert uns die erfahrene Psychologin Susan Forward in: Emotionale Erpressung. Sie weist in ihrem Buch darauf hin, dass Gefühle nicht die kurzlebigen, unabhängigen Kräfte sind, für die sie oft gehalten werden. Sie sind eine Antwort auf das, was man denkt. Dabei spielen Überzeugungen eine wichtige Rolle, die in allen Lebensphasen durch machtvolle Personen vermittelt werden - durch Eltern, Lehrer, Vorbilder, nahe Freunde. Und diese Überzeugungen sind die Quelle der Gefühle. (vgl. Forward 2000, 237).

(6) Dass der Mensch nicht nur aus äußerem Zwang sondern auch aus innerer Notwendigkeit handle, dass der menschliche Wille also keineswegs frei, sondern durch vielerlei Ursachen determiniert sei, schreckte Einstein nicht. Im Gegenteil, er sah darin eine unerschöpfliche Quelle der Toleranz und des Humors: "Schopenhauers Spruch: 'Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber nicht wollen, was er will', hat mich seit meiner Jugend lebendig erfüllt und ist mir beim Anblick und beim Erleiden der Härten meines Lebens immer Trost gewesen und eine unerschöpfliche Quelle der Toleranz. Dieses Bewusstsein mildert in wohltuender Weise das leicht lähmend wirkende Verantwortungsgefühl und macht, dass wir uns selbst und die anderen nicht gar zu ernst nehmen; es führt zu einer Lebensauffassung, die auch besonders dem Humor sein Recht lässt." (Einstein 2005, 9).

(7) Du kannst tun, was du willst: aber du kannst, in jedem gegebenen Augenblick deines Lebens nur ein Bestimmtes wollen und schlechthin nichts Anderes, als dieses Eine." Entnommen aus Arthur Schopenhauer: Preisschrift über die Freiheit des Willens. In: Arthur Schopenhauer: Werke in 10 Bänden. Hg. v. Arthur Hübscher. Bd. 6. (1977, 62).

(8) Für den Philosophen Julian Nida-Rümelin, einem bekennenden non-Naturalisten, "ist die Freiheit bedingt, sie ist nicht unbedingt." Es ist "die spezifische Freiheit des Menschen Gründe abzuwägen und dieser Abwägung entsprechend zu handeln." (2005, 158).  "Willensfreiheit wird daher zum Merkmal einer erfolgreichen Abwägung praktischer Gründe. Erfolgreich ist eine Abwägung dann, wenn die besseren Gründe das Handeln bestimmen." (2005, 89). Entnommen aus Julian Nida-Rümelin: Über menschliche Freiheit.

(9) Die sinnvolle Frage nach der objektiven Verantwortung einer Tat darf nicht mit der illusionären Frage nach der subjektiven Verantwortung eines Täters verwechselt werden. Hier liegt auch der Unterschied zwischen einer globalen humanistischen Ethik und einer dogmatischen Moral. Siehe auch Michael Schmidt-Salomon: Jenseits von Gut und Böse. (2009, 197ff).

(10) Untersuchungen haben ergeben, dass bereits mit dem sechsten Lebensjahr das Ausmaß der verinnerlichten Aggressionsbereitschaft stabil angelegt und kaum noch wirklich veränderbar ist. (vgl. Dornes 1997, 269f).

(11) Eine ausführliche Zusammenfassung, wie die Entwicklung hin zum Serienmörder abläuft, findet sich in  Stephan Harbort. (2009, 299ff).

(12) Die Unterscheidung zwischen einem subjektiven, moralischen und einem objektiven, ethischen beziehungsweise juristischen Schuldbegriff führt zur Unterscheidung zwischen Schuld- und Reuegefühlen. Reuegefühle sind ein wichtiger Anstoßgeber für die persönliche Weiterentwicklung, Schuldgefühle dagegen stehen ihr im Weg. Die Konsequenzen dieses Unterschieds beschreibt die Psychologin Doris Wolf: "Während Schuldgefühle uns quälen, lähmen, unsere gesamte Energie aufbrauchen können, fühlen wir uns mit Reuegefühlen in der Lage aktiv zu werden. Wir behalten unsere Selbstachtung". (Wolf 1996, 12).

(13) Drei Aspekte eines Strafsystems, das sich nicht auf die These der Willensfreiheit stützt, sind erstens die Funktion der Strafe, zweitens der Umgang mit dem Täter, drittens die Bedeutung der Verbrechensprävention. (vgl. Schmidt-Salomon 2009, 281ff).

(14) Z. B. im Johannisevangelium (Joh. 8,44) sprach Jesus zu den Juden: "Ihr stammt vom Teufel, er ist euer Vater, und ihr wollt tun, was euer Vater will. Er war ein Mörder von Anfang an und steht nicht in der Wahrheit, weil keine Wahrheit in ihm ist. Wenn er lügt, sagt er das, was ihm eigen ist; denn er ist ein Lügner und der Vater der Lüge". (Katholische Bibelanstalt 1973).

(15) Und weil die Vorherbestimmtheit an und für sich kein Übel ist, kann auch die Vorherbestimmtheit unserer freien Entscheidung kein Übel sein." Auch der darauf folgende Dialog in Bieris Buch nimmt zu diesem Thema Bezug. (vgl. Bieri 2009, 315ff).

(16) "Ein Verlust der Urheberschaft wäre gleichbedeutend mit einem Verlust der Freiheit." (Bieri 2009, 193).

(17) Darauf weist insbesondere Georg H. Mead hin. (vgl. 1968, 180).

(18) Siehe Bernhard Kegel: Epigenetik. Wie Erfahrungen vererbt werden. (2009).

(19) "Allein die Vorstellung, wer wir hätten sein können, wenn wir woanders gelebt hätten, in einem anderen Land, einem anderen Klima, einer anderen Sprache, vermag unsere Identität zu ändern." (Bieri 2009, 70).

Der starke Einfluss, den die Kultur auf die Identität eines Menschen ausüben kann, wird auch im folgenden Absatz aus Andy Clark und David J. Calmers in "Der erweiterte Geist (The extended mind)" aus Thomas Metzingers Grundkurs Philosophie des Geistes Band 3, (2010, 516) ersichtlich:

"Es könnte zum Beispiel sein, dass die Beeinträchtigung der Umwelt einer Person in einigen Fällen dieselbe moralische Bedeutung haben wird wie die Beeinträchtigung der Person selbst. Und wenn man diese Sichtweise ernst nimmt, kann man bestimmte Formen sozialer Aktivität weniger als etwas betrachten, das Kommunikation und Handeln ähnelt, sondern vielmehr als etwas, das Denken ähnelt."

(20) Siehe Memoiren von Schein Elyse und Bernstein Paula: Identical Strangers. (2007).

(21) Wegbereiter für eine Theorie des Bewusstseins ist der französische Neurowissenschaftler Stanislas Dehaene. Dabei greift er auf die Signaturen eines bewussten Gedankens zurück. (vgl. Dehaene 2014).

(22) Eine ausführliche Untersuchung über das menschliche Erleben im Hier und Jetzt gibt uns Eva Ruhnau in ihrem Aufsatz "Zeit-Gestalt und Beobachter; Betrachtung des tertium datur des Bewusstseins", enthalten in Thomas Metzinger: Bewusstsein. Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie. (2005, 201ff).

Sie führt darin an: "Das Gehirn schafft sich und strukturiert durch adirektionale zeitliche Zonen oder Gleichzeitigkeitsfenster. Bezogen auf die Außenzeit erscheinen solche "Zeitfenster" als Zeitquanten, deren Dauer (etwa 30-40 msec) kennzeichnend für das System ist und die auf gleicher funktionaler Ebene in der Regel nicht unterschritten werden kann". Weiters: "Zeitliche Integration aufeinanderfolgender Zeitfenster - Jetzt: Hier weist eine Reihe experimenteller Daten auf einen Prozess, der mehrere Gleichzeitigkeitsfenster (von 30 msec Dauer) bis zu einer Dauer von etwa 3 sec automatisch zu Wahrnehmungseinheiten aufintegriert. Ein derartiger Prozess bietet die formale Basis des erlebten subjektiven "Jetzt". Werden im psychophysischen Experiment zwei Reizintensitäten miteinander verglichen, so müssen sie innerhalb eines Fensters von 2-3 sec angeboten werden, damit es zu sinnvollen Aussagen kommt. Experimente, in denen vorgegebene Zeitdauern reproduziert werden, zeigen ein Überschätzen kurzer zeitlicher Intervalle, und ein Unterschätzen längerer Intervalle. Das Indifferenzintervall, d.h. diejenige Zeitdauer, die am besten reproduziert wird, liegt bei etwa 3 sec. Zeitsegmente bis zur Länge des Indifferenzintervalls werden ebenso in der Sprachverarbeitung oder in der zeitlichen Organisation intentionaler Akte beobachtet. All dies zeigt deutlich, dass das bewusste Jetzt sprach- und kulturunabhängig etwa 3 sec zu betragen scheint. Dieses Jetzt ist damit kein Punkt, sondern besitzt eine Ausdehnung von etwa 3 sec." (2005, 204f).

Weiters berichtet Eva Ruhnau davon, dass die Verfügbarkeit von Informationen im Gehirn periodisch als gleichzeitig bewertet werden muss. "Eine Reihe von Experimenten der letzten Jahre weisen nun tatsächlich durch Reize hervorgerufene rhythmische Synchronisation von Nervenzellen im Gammawellenbereich (30-60 Hz) nach." (2005, 208).

(23) "Phänomenales Selbstmodell", "Bewusstseins-Tunnel", Ego und Innerlichkeit werden ausführlich beschrieben in Thomas Metzinger. (2009a, 18f; 25; 154).

(24) Bewusstsein und menschliches Erleben als Funktionalität des menschlichen Gehirns wird als "durch neuronale Strukturen periodisch gleichzeitig verfügbar machen einer großer Anzahl von vorselektierten und vorbewerteten Informationen" verstanden. Es wird davon ausgegangen, dass eine sinnvolle Bewertung einer Situation oder einer Sache nur dann vorgenommen werden kann, wenn eine große Anzahl von Teilinformationen oszillatorisch gleichzeitig verfügbar ist, und diese Informationen in Beziehung gestellt werden können. Wesentlicher Bestandteil sind dabei vorbewertete neuronale Informationen, die z. B. für das Gefühls-, Schmerz,- und Farbempfinden zuständig sind, weil evolutionär und für das Überleben des Menschen besonders bedeutsam.  Und dieses umfassende gleichzeitige Verfügbar-Sein und In-Beziehung-Stellen-Können von Informationen wird als "Bewusstsein" verstanden. Ein "Zombie", also ein Wesen, das zwar die gleiche Bewertungsstruktur und damit einen "Verstand" hätte, aber gleichzeitig kein Bewusstsein haben würde, wird somit undenkbar.

Ein Bewusstsein ohne materielle Basis ist undenkbar. Allerdings kann das Resultat eines bewussten Aktes nicht materiell erklärt werden.

Thomas Metzinger beschreibt in seinem Buch Der Ego-Tunnel (2009a) bewusstes Erleben als einen von der Evolution geschaffenen "virtuellen Tunnel durch die Wirklichkeit", das mit der Wirklichkeit nur wenig zu tun hat. Das "Ich" ist demnach keine selbständige Realität, es ist eine Erscheinung des menschlichen Gehirns. Erkenntnisgewinn und Wissen über die Außenwelt wird nur durch die Bildung wissenschaftlicher Gemeinschaften möglich, die Theorien entwerfen und sich dabei fortwährend überprüfen.

Weiters möchte ich gerne auf Rupert Riedls Buch Biologie der Erkenntnis verweisen, in der im Bereich des Lebendigen die These von 4 Wirkursachen vertreten wird. In (1981, 165) wird hervorragend argumentiert, dass im Wirkungsbereich des Lebendigen die Antriebsursache durchgängig als Kraft, die Finalursache im Organischen durchgehend als Zweck, und Material- und Formursachen von Schicht zu Schicht wirken.

Wohl bemerkt, die Finalursache wird nicht als teleologische Ursache verstanden, die aus der Zeitachse wirkt, sondern als teleonomische Ursache, die in der Wirkrichtung des Schichtenbaus bei komplexen organischen Systemen im Sinne eines Erklärungsmodells wirkt. Dadurch werden Gründe verständlich gemacht ohne auf materielle Ursachen verzichten zu müssen. Genauso, wie es meines Erachtens nicht möglich sein wird, Qualia, also Farbempfinden, Schmerz oder Gefühle "materiell" zu erklären. Hier vertritt Riedl die These, dass in der biologischen Evolution große Quantitäten zu neuen Qualitäten führen, die im Schichtsystem des Organischen nicht allein durch die Antriebs- und Materialursache erklärt werden können. Man wird zur ausreichenden Erklärung also zusätzlich Zweck- und Formursache benötigen.

Beim menschlichen Gehirn könnte die Zweckursache zum menschlichen Bewusstsein mit Verstand und Gefühlsempfindung, die Formursache zur oszillatorisch getriggerten Bereitstellung einer Vielzahl von bewerteten Informationseinheiten geführt haben.

(25) Siehe Aufsatz von Dieter Birnbacher: "Künstliches Bewusstsein" in Thomas Metzinger: Bewusstsein. Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie. (Metzinger 2005, 713ff).

Eine umfangreiche Abhandlung zum Thema künstliche Intelligenz mit den möglichen Auswirkungen auf die Menschheit findet sich in Nick Bostrom: Superintelligenz. Szenarien einer kommenden Revolution. (2014)

(26) Weitere Beispiele dafür, wie umfangreich sich unsere Identität durch geänderte Umstände entwickeln könnte, siehe Michael Schmidt-Salomon. (2009,  274).

(27) Die Erkenntnis, dass all die Eigenschaften, die dem "Ich" zugeschrieben werden, letztlich nur im Kontext des Weltganzen zu begreifen sind, und dadurch zur Desillusionierung des autarken "Ichs" führt, kann zu einer extremen Variante des Flow-Erlebnisses führen. (vgl. Schmidt-Salomon 2009, 244).

Einen wunderbaren Zugang zu diesem Thema gibt uns Thich Nhat Hanh in seinem Buch: Körper und Geist in Harmonie: Die Heilkraft buddhistischer Psychologie. (2009).

Thomashoff kommt in seinem Buch Versuchung des Bösen zu dem Schluss, dass dieser "Flow" durch die Abschaltung der Areale im frontalen Großhirn zustande kommt, die für die Selbstwahrnehmung erforderlich sind. (2009, 61).

(28) Hinweise zur Mystik des Einsseins finden sich z. B. im Johannesevangelium. In Joh. 14.17-20 spricht Jesus zu den Aposteln: "Es ist der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt. Ihr kennt ihn, weil er bei euch bleibt und in euch sein wird. Ich werde euch nicht verweist zurücklassen, sondern ich komme zu euch. Nur noch kurze Zeit wird vergehen, und die Welt sieht mich nicht mehr; aber ihr seht mich, weil ich lebe, und weil auch ihr leben werdet. An jenem Tag werdet ihr erkennen: Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir, und ich bin in euch." Jesus sprach in diesem Zusammenhang von seiner Auferstehung. (vgl. Katholische Bibelanstalt 1973).

(29) Als ein großes Geheimnis lehren die Brahmanen die Mystik des Eins-Seins der Seelen aller Wesen und aller Dinge mit der All-Seele. Dieser Mystik zufolge gehört alles Seelische der All-Seele an. Der Mensch trägt die All-Seele in sich. Und weil die All-Seele allem Sein innewohnt, findet er sein Selbst in allem Sein wieder, in dem der Pflanzen wie in dem der Götter. Dies ist der Sinn der berühmten "Tat tvam asi" (Das bist du selbst) der Upanishad's. Im Kaivalaya Upanishad steht: "Wer in allen Wesen sich und sich in allen Wesen sieht, der geht, nicht aus einem anderen Grunde, in das höchste Brahman ein." Entnommen aus Albert Schweitzer: Die Weltanschauung der indischen Denker. (1965, 26).

(30) Siehe das Buch: The wild boy from Aveyron von J.M.G. Itard (1932), der den Jungen selbst aufzog.

(31) Stellvertretend für viele andere Autoren sei Hans-Christoph Koller erwähnt. Hans-Christoph Koller: Grundbegriffe, Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft. Eine Einführung. (2014).

(32) Vor allem ist es der Soziologe Emile Durkheim, der in einer äußerst umfangreichen Studie über den Selbstmord zeigt, wie notwendig der Mensch der sozialen Integration bedarf.

In seinem Buch Der Selbstmord untersucht Durkheim unter Heranziehung statistischen Materials die unterschiedlichen Selbstmordraten bei Katholiken, Protestanten und Juden. Er weist nach, dass die Selbstmordrate bei Protestanten am höchsten ist und schließt daraus, dass die katholische Kirche stärker integrierend ist als die protestantischen Kirchen. Für die Juden stellt er fest, dass die Verfolgung sie einen Solidaritätssinn entwickeln ließ.

Weiters findet Durkheim einen Zusammenhang zwischen Selbstmordrate und wirtschaftlichen Krisen. In Perioden wirtschaftlicher Krisen steigt die Selbstmordrate an. Die Selbstmordrate steigt jedoch auch in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs. In Situationen, in denen das Individuum durch die Gesellschaft stark beansprucht wird, z.B. in Kriegszeiten, sinkt die Selbstmordrate ab. In Perioden der gesellschaftlichen Desintegration, wenn die Bindung des Individuums an seine Gruppe und an die Gesellschaft ganz allgemein schwächer wird, entsteht eine Krisensituation. Der entscheidende Faktor ist, dass das Individuum in Perioden wirtschaftlicher Krisen vielleicht gegen seinen eigenen Willen in Isolation gerät, während es in Perioden wirtschaftlichen Aufschwungs möglicherweise selbst wünscht, unabhängig zu sein.

Mehr Selbstmorde gibt es auch bei männlichem Geschlecht, im zunehmenden Alter, bei Verwitweten, Unverheirateten oder Geschiedenen, Kinderlosen, hoher Bevölkerungsdichte, Wohnsitz in großen Städten, hohem Lebensstandard, Wirtschaftskrisen, Alkoholkonsum, Kindheit in einer zerbrochenen Familie, psychischen Störungen und physischen Erkrankungen.

Einheitlich wird ein relativer Anstieg der Rate für die Frauen registriert, was mit ihrer dem männlichen Geschlecht angenäherten Lebensweise sowie ihrer höheren Lebenserwartung in Verbindung gebracht wird.

Bei den Schwarzen in den USA fand man viel weniger Selbstmorde und mehr Morde als bei den Weißen, was ein Licht auf ihre unterschiedliche Lage wirft. Eine höhere Selbstmordrate gibt es auch bei den Studenten. Sie ist an orthodoxen Universitäten (Oxford) am höchsten, wo Lebensbedingungen gefordert werden, die am wenigsten mit denen von nichtstudentischen Gleichaltrigen zu vergleichen sind. (vgl. Durkheim 1973).

(33) Diese Behauptung kann recht gut durch die Fallstudien von wild aufgewachsenen Kindern belegt werden. Man kennt ca. vierzig solcher Fälle. Es wird angenommen, dass man solche Kinder entweder ausgesetzt hat, oder dass sie verloren gegangen waren. Sie wurden dann von Wölfen, Bären, Ziegen, Schweinen, Schafen, Rindern, Leoparden etc. aufgenommen und aufgezogen, oder sie konnten sich selbst durch eigene Anstrengung am Leben erhalten.

Solche Kinder sind ohne Ausnahme stumm, sie bewegen sich auf allen Vieren, haben besonders gut ausgeprägte Sinnesorgane, keinen Sinn für Scham vor Nacktheit, und überhaupt zeigen sie keinen Sinn für Sexualität. In ihrem ganzen Verhalten und Auftreten sind sie den Tieren sehr ähnlich. Sie haben praktisch keine intellektuellen Fähigkeiten, und man nimmt an, dass sie durch frühen Reizentzug unterentwickelt geblieben sind. (vgl. Anastasi 1976 Bd. 2, 115ff).

(34) Bezüglich Gesprächskultur siehe Michael Schmidt-Salomon: Jenseits von Gut und Böse. (2009, 266).

(35) "Wären Glück und Sinnerfüllung tatsächlich gekoppelt an Liebe und Erkenntnis, an Achtung gegenüber dem Leben und tiefes Wissen um die realen Zusammenhänge in der Welt, wäre die Menschheitsgeschichte, die Summe des Glücksstrebens der Individuen, zweifellos anders verlaufen, als sie es in Wirklichkeit ist." (Schmidt-Salomon 2009, 234).

(36) Dies entspricht etwa der Position des "evolutionären Humanismus", beschrieben in Michael Schmidt-Salomon: Manifest des evolutionären Humanismus. (2006).

Gerhard Streminger beschreibt im letzten Kapitel seines Buches: Gottes Güte und die Übel der Welt, (1992, S377ff) einen Ansatz für die aktive Leidminderung und eine Skizze vom guten Leben. Dazu einige Eckpunkte:

-           Umverteilung des Reichtums von den reichen zu den armen Ländern

-           Geburtenregelung

-           eine Lebensform, bei der die Bewohner reicher Länder mit weniger Gebrauchsgütern besser zu leben verstehen

-           die rechten Erwartungen an das Leben stellen. Viele der besten Dinge des Lebens sind umsonst.

-           eine schonende Nutzung der Ressourcen der Natur

-           Vermeiden einer falschen Moral, die das Leben erschwert, indem sie z.B. die Vernunft verteufelt, Unwissenheit als Tugend preist, Neugierde als Sünde hinstellt, den Eros verteufelt

-           Vermeiden einer Scheinwirklichkeit, die das Leid des Menschen fördert. Dazu gehören imaginäre Ursachen wie Gott, Seele, Ego, Geist, freier Wille, Sünde sowie imaginäre Wirkungen wie Sünde, Erlösung, Gnade, Strafe, Vergebung der Sünde.

[Anmerkung des Autors: Aus meiner Sicht könnte anstatt imaginäre Ursachen und Wirkungen auch unreflektierte Ursachen und Wirkungen stehen.]

(37) Mereologie: Wissenschaft, die sich mit dem Verhältnis von Teil und Ganzem beschäftigt.

 

   
   
   
   
 

 

 

 
     

 

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