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Gedanken zur Selbstbestimmtheit

Gedanken über unsere Identität

Elyse und Paula - ein eineiiges Zwillingspaar

Exkurs zum Phänomen "Bewusstsein"

Gedankenspiele bezüglich unserer Identität

Die Mystik des Einsseins

Gedanken zur Brüderlichkeit

Epilog: Gedanken zum Frühling

ineinander verkettet
© Mag.art Elisabeth Schickmayr

 

 

 

Positionierung des Textes

   

Nachfolgend wird der Versuch einer Standortbestimmung des Textes SELBSTBESTIMMT - Gedanken über unser Selbstverständnis unternommen.

Es wird ein Naheverhältnis zu folgenden erkenntnistheoretischen, philosophischen und weltanschaulichen Positionen angenommen:

 "Hypothetischer Realismus" Er geht davon aus, dass es mindestens eine vom Menschen unabhängige Realität gibt, diese Realität eine Struktur hat, wonach kausale Relationen (Ursache-Wirkungs-Beziehungen) objektiv existieren, und diese realen Strukturen zumindest teilweise erkennbar sind. (Struktureller Realismus).

 "Nicht-reduktiver Physikalismus" Alle real existierenden Phänomene haben eine physikalische Grundlage. Die Erklärbarkeit von Phänomenen kann allerdings nicht ausschließlich mit physikalischem Vokabular erfolgen. Bei komplexen Systemen und im Bereich des Lebendigen muss unterschieden werden, ob eine kausale Ursache, oder dessen Zweck von Interesse ist. Eine Unterscheidung in Ursachen und Gründen wird dadurch erforderlich. Im Bereich des Lebendigen werden Zwecke oder Gründe zumeist die besseren Erklärungen liefern, im Bereich des Bewussten sind es beinahe ausschließlich Gründe, die einen Erklärungswert liefern können.

Bernd Lindemann bezieht sich in seinem Buch Mechanisms in World and Mind  (2014) auf die Systemtheorie und führt an, dass im Stufenmodell der Systemtheorie Kausalität nur von der unteren Ebene zur oberen Ebene wirken kann. Eine umgekehrte Wirkrichtung sei nicht möglich. Anbei nach meiner Interpretation einige Eckpunkte seiner Thesen: Kausalität findet tatsächlich nur auf einer physikalischen Null-Ebene statt, und zur besseren Veranschaulichung werden allumfassende Systemebenen eingeführt. Die verschiedenen Ebenen sind durch Identität verbunden. Aus pragmatischen Gründen wählt man diejenige Ebene als Basis aus, die eine Kausalbeziehung oder eine konstitutive Beziehung bestmöglich veranschaulichen kann. Die Systemtheorie dient somit zur besseren Veranschaulichung wegen unserem begrenzten Vorstellungsvermögen. Materielles (Concreta) und Virtuelles (Abstracta) sind verschiedene Kategorien. Abstrakta können nicht kausal wirken. Materielle Objekte können in Raum und Zeit lokalisiert werden und kausal verkettet sein. Virtuelles wie Gedanken, Pläne und Symbole, aber auch Zwecke und Gründe, sind immateriell und damit nicht im Raum lokalisierbar und können daher auch nicht kausal wirken. Gedanken sind sowohl Concreta als auch Abstracta. Ihre Inhalte existieren außerhalb der Materie als Abstracta, haben aber eine konkrete neuronale Basis, von der sie abhängen. Bewusstsein "superveniert" über ihre neuronale Basis. Die Kausalkette in der konkreten Basis bewirkt, dass die Neurone feuern, dass eine Willkürbewegung eingeleitet wird. Wirken unter bestimmten Rahmenbedingungen viele Neuronen strukturiert zusammen, so schafft dies also auf materieller Basis eine neue Ebene, die über der Ebene der Neuronen liegt. Entsprechend der Systemtheorie ist die auf der oberen Stufe befindliche Systemeigenschaft "mehr" als die Summe der Eigenschaften auf der unteren Stufe. Trotzdem sind diese höheren Systemeigenschaften ausgehend von der physikalischen Nullebene über mehrere Stufen hinauf ausschließlich physikalisch realisiert. Die Erklärbarkeit nimmt wegen unseres begrenzten Vorstellungsvermögens zunehmend ab, je mehr Ebenen in eine Erklärung einbezogen werden.

Ergänzend bin ich der Meinung, dass grundsätzlich nichts dagegen sprechen sollte, dass bestimmte neuronale Prozesse als Kommunikationsprozesse im Erlebnisformat interpretiert werden dürfen, die während des Reflektierens, oder z. B. während eines Traumes im Schlaf, von externen Sinnesempfindungen entkoppelt sind. Ihr Zweck ist das Konstituieren des Mentalen. Die neuronalen Prozesse fungieren dabei nur als Mittel zum Zweck. Derart verstanden würden derartige neuronale Prozesse nur als "Träger" für alle mentalen Fähigkeiten dienen, so z. B. auch dem Reflektieren. Ein ähnliches Beispiel wäre eine Telefonleitung, die als "Träger" zur Übermittlung der Sprache nur Mittel zum Zweck ist. Bei einem solchen Verständnis ist eine kausale Determination des "Trägers" keineswegs bedenklich, sondern umgekehrt ein Erfordernis für sein gutes Funktionieren. Der Inhalt des Erlebnisformates wird dabei z. B. beim Reflektieren nicht von einem externen kausalen Einfluss gesteuert, sondern unterliegt ausschließlich dem internen Kommunikationsfluss.

Bezüglich der Naturalismusdebatte bedeutet dies, dass mentale Fähigkeiten zwar als neuronal realisiert gedacht werden können, und mit dem Vokabular der Naturwissenschaften z. B. mittels Neuroimagebilder, wenn auch nur sehr vage, beschrieben werden können. Für Erklärungen und zur Vermittlung des Gefühls, "wie sich etwas anfühlt" würde sich das Vokabular der Naturwissenschaften nur wenig bis gar nicht eignen. Der französische Neurowissenschafter Stanislas Dehaene erläutert in seinem Buch Denken - Wie das Gehirn Bewusstsein schafft (2014), wie anhand von Neuroimagebilder auf Bewusstseinsinhalte geschlossen werden kann.

Laut Bernard J. Baars (2009) ist Zweck des Bewusstseins, dass bereits auf neuronaler Ebene für das Überleben wichtige Umweltinformationen, aber auch autobiografisches Wissen, auf einer "Arbeitsbühne" parallel und gleichzeitig verfügbar sind, Assoziationen möglich werden, und damit schnell und wirkungsvoll auf neue Umweltbedingungen reagiert werden kann. Demnach dient Bewusstsein zur internen Kommunikation.

Qualia, also Farbempfinden, Schmerz oder Gefühle, liefern auf dieser Arbeitsbühne einen wichtigen Beitrag über das Wohlbefinden und wurden daher ebenfalls im Laufe der Evolution neuronal realisiert.

Versuch einer Definition von Bewusstsein, Erleben, Geist, Verstand: Bewusstsein und menschliches Erleben als Funktionalität des menschlichen Gehirns wird als "durch neuronale Strukturen periodisch gleichzeitig verfügbar machen einer großer Anzahl von vorselektierten und vorbewerteten Informationen" verstanden. Es wird davon ausgegangen, dass eine sinnvolle Bewertung einer Situation oder einer Sache nur dann vorgenommen werden kann, wenn eine große Anzahl von Teilinformationen oszillatorisch gleichzeitig verfügbar ist, und diese Informationen in Beziehung gestellt werden können. Wesentliche Bestandteile sind dabei vorbewertete neuronale Informationen, die z. B. für das Gefühls-, Schmerz,- und Farbempfinden zuständig sind, weil evolutionär und für das Überleben des Menschen besonders bedeutsam (die biologische Evolution muss einen sehr starken Selektionsdruck auf das Herausbilden von handlungsrelevanten Mechanismen ausgeübt haben. Gefühle, Empfindungen und Triebe werden daher als das Produkt von evolutionären Bewertungen in unserem Gehirn angenommen).  Und dieses umfassende gleichzeitige verfügbar sein und in Beziehung stellen können von Informationen wird als Bewusstsein verstanden. Ein philosophischer Zombie, also ein Wesen, das zwar die gleiche Bewertungsstruktur und damit einen Verstand hätte, aber gleichzeitig kein Bewusstsein haben würde, wird somit undenkbar. Handeln, also ein schnelles und übersichtliches Reagieren auf komplexe Situationen, ist nur mittels Bewusstsein bewerkstelligbar.

Ein Bewusstsein ohne materielle Basis ist undenkbar. Allerdings kann in vielen Fällen das Resultat eines bewussten Aktes besser verstanden werden, wenn nach Zwecken gesucht wird.

Besonders erwähnt werden soll in diesem Zusammenhang noch "Die Hypothese der Interaktion zwischen dem selbstbewussten Geist und dem Liaison-Gehirn" von Karl R. Popper und John C. Eccles, niedergeschrieben in Das Ich und sein Gehirn. Im gleichnamigen Buch (1989) stellen sie gemeinsam die Drei-Welten-Theorie vor.

Meine Sichtweise zu Eccles Hypothese lautet, dass eine spezifische Erregung des sehr komplexen, funktional aus unterschiedlichsten Zentren bestehenden und vernetzten Liaison-Gehirns notwendigerweise Bewusstsein darstellt. Ist es nicht eher unvorstellbar, dass eine derart umfangreiche und bewertete Informationsfülle, die gleichzeitig durch ein getaktetes System vernetzt und rückgekoppelt mit abrufbaren Gedächtnisinhalten unterschiedlichster Art zur Verfügung steht, ohne Bewusstsein ist? Ich denke die Funktionalität eines solchen Systems ist mit Bewusstsein identisch. Im Sinne der Supervenienz treten hier sukzessive neue Eigenschaften auf. Supervenieren kann dabei mit "davon abhängen" übersetzt werden.

Weitere Bezüge zu diesem Thema von Stanislas Dehaene, der in seinem Buch Denken - Wie das Gehirn Bewusstsein schafft (2014) Wegbereiter für eine Theorie des Bewusstseins ist.

 "Evolutionäre Erkenntnistheorie" Diese erkenntnistheoretische Position spielt im Bereich des Lebendigen eine Rolle. Es wird Bezug auf die Arbeiten des Physikers und Philosophen Gerhard Vollmer und des Meeresbiologen und Erkenntnistheoretikers Rupert Riedl genommen. Rupert Riedl vertritt in seinem Buch Biologie der Erkenntnis (1981) die These von 4 Wirkrichtungen. Er argumentiert, dass im Bereich des Lebendigen die Antriebsursache durchgängig als Kraft, die Finalursache im Organischen durchgehend als Zweck, und Material- und Formursachen von Schicht zu Schicht wirken. Wohlgemerkt, die Finalursache wird nicht als teleologische Ursache verstanden, die aus der Zeitachse wirkt, sondern als teleonomische Ursache, die in der Wirkrichtung des Schichtenbaus bei komplexen organischen Systemen im Sinne eines Erklärungsmodells wirkt. Dadurch werden Gründe verständlich gemacht, ohne auf materielle Ursachen verzichten zu müssen.

Ergänzt sei noch folgender Auszug aus Die Strategie der Genesis von Rupert Riedl (1980, 311):

Wahrscheinlich enthält diese Welt nur eine einzige causa. Aber mit der Komplexität der Dinge erscheint sie uns in unterschiedlicher Weise. Zwar mag die Mauer eines Hauses nur eine Wirkung tun; aber in ihrer Wirkrichtung nach der nächsthöheren Schicht erscheint uns diese als Materialursache der gebauten Räume. In ihrer Wirkung nach der nächstniederen erscheint sie uns als Formursache der selektierten Bausteine. Sie erscheint uns als die causa materialis und formalis ihrer Schicht. Der philosophische Materialismus scheitert in dem Versuch, alle Ursachen nur von den tieferen, den materialen Ursachen, der Idealismus daran, alle Ursachen nur von den höheren, formgebenden Schichten aus zu sehen. Beide sind durch ihr exklusives Kausalitätsprinzip behindert. Das Verständnis von Systemen aber schreibt vor, Kreisläufe anzuerkennen, ursächliche Wechselwirkung, die sie erst zu Systemen macht.

 "Prozessphilosophie der Biologie": Im Mittelpunkt dieser Philosophie wird alles Leben als Prozess aufgefasst. Eine Person ist eine lebensweltliche Einheit aus subjektiver Selbsterfahrung und systemischer Biologie, sie ist eine verkörperte und ausgedehnte Subjektivität (embodied und extended mind). Daraus geben sich Schlussfolgerung für eine Theorie der Person. Es werden Positionen von den Philosophen Marya Schechtmann (2014) und Anne Sophie Meincke (2019) vertreten.

Bieri-Trilemma:

1.         Mentale Phänomene sind nicht-physische Phänomene

2.         Mentale Phänomene sind im Bereich physischer Phänomene kausal wirksam

3.         Der Bereich physischer Phänomene ist kausal geschlossen

Dieses Trilemma beinhaltet das Problem der mentalen Verursachung. Ein Lösungsvorschlag ergibt sich aus oben angeführten Überlegungen: Satz (2) muss so umformuliert werden, dass mentale Phänomene physisch konstituiert sind und daher kausal wirksam sind. Desgleichen muss Satz (1) so umformuliert werden, dass mentale Phänomene physisch konstituierte Phänomene sind. Satz (3) ist somit gültig.

 "Kompatibilismus" Es wird eine Vereinbarkeit von freien Willen und Determinismus angenommen. Es wird auf die Positionen der Philosophen Peter Bieri (2009), Michael Pauen (2008) und des Sozialwissenschaftlers und Philosophen Michael Schmidt Salomon (2009) Bezug genommen. Demnach hängt Freiheit davon ab, ob eine Handlung durch ihren Urheber selbst bestimmt wird oder ob sie sich auf andere, der Person nicht zuschreibbare Faktoren zurückführen lässt. Ein Verlaufsdeterminismus, der aus einem gegebenem Weltzustand alle künftigen Weltzustände eindeutig vorausbestimmt, wird hier nicht vertreten, da dieser keine vertretbare Position der aktuellen Physik darstellt. In der Teilchenphysik sind gewisse Vorkommnisse rein zufällig. Weiters zeigt bereits das Euromillionenspiel, dass beinahe identische Zustände nach kürzester Zeit Zufall bedingen. Ferner gilt als allgemein anerkannt, dass nichtlineare komplexe  dynamische Strukturen nicht nur wegen des enormen erforderlichen Rechenbedarfes, sondern vom Prinzip her hinsichtlich ihrer zukünftigen Entwicklung offen und nicht vorhersagbar sind, und dies gilt selbst dann, wenn alle Ausgangsbedingungen vollständig bekannt sind. Man denke an eine komplexe Software, die für ihre Optimierung in Abhängigkeit einer großen Anzahl von Parametern durch Zufall ihre eigene Struktur ändert und durch Versuch und Irrtum die bestgeeignete Struktur ermittelt.

Der Text "SELBSTBESTIMMT - Gedanken über unser Selbstverständnis" sieht sich insgesamt weltanschaulich der Position des "evolutionären Humanismus" verpflichtet. Dazu sei der Sozialwissenschaftler und Philosoph Michael Schmidt-Salomon (2006) genannt. In einer solchen Weltanschauung gibt es weder Platz für Dogmen - also der Kritik unzugänglich gemachte und nicht hinterfragbare, auf Ideologie oder Universalismus beruhende Lehrsätze, stammend aus Religionen, überlieferten Wertvorstellungen, nichtüberprüfbaren Prinzipien oder irgendwelchen philosophischen Konstrukten - noch für einen Relativismus, der den humanistischen Prinzipien entgegen wirkenden Weltanschauungen nichts entgegenzusetzen vermag.

 

   
   
   
   
 

 

 

 
     

 

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